Gastbeitrag: Vom Zweifel zur Molekularbiologin – mein Weg als Frau aus einer nicht-akademischen Familie in die Naturwissenschaft

Gastbeitrag von Meral Magdalena Kara, ArbeiterKind.de

Als Kind träumte ich davon, Psychologin zu werden – heute bin ich Molekularbiologin und engagiere mich bei ArbeiterKind.de. Als Erstakademikerin weiß ich aus eigener Erfahrung, wie viele Fragen, Unsicherheiten – aber auch Chancen – ein Bildungsweg mit sich bringt, den in der Familie noch niemand gegangen ist. ArbeiterKind.de unterstützt Schülerinnen und Studierende aus nicht-akademischen Familien – beim Studienstart, bei Fragen zu BAföG und Stipendien, beim Schreiben von Bewerbungen oder wissenschaftlichen Arbeiten und einfach auch durch ehrlichen Austausch auf Augenhöhe. Für mich ist es ein Herzensanliegen, genau die Unterstützung weiterzugeben, die ich mir früher selbst gewünscht hätte.

Ich konnte mich nie für Pferde begeistern – dafür umso mehr für Planeten. Jedes Weltall-Buch von Aldi oder Lidl musste mit. Für kurze Zeit wollte ich sogar Astrophysikerin werden, bis ich merkte: Hinter all den Galaxienbildern steckt vor allem Mathematik – und das war dann doch nichts für mich. Mathe jedoch mochte ich schon in der Grundschule. Ich war gut im Kopfrechnen und hätte fast an einem Mathewettbewerb teilgenommen – traute mich aber nicht. Meine Begeisterung und auch mathematische Veranlagung sind mir also schon früh aufgefallen. Als ich dann die Eignung für das Gymnasium bekam, haben meine Eltern mich mit den Worten „Du sollst es mal besser haben als wir!“ dazu motiviert diesen Weg zu gehen.

Ich war zwar nie schlecht in der Schule, aber für ein 1,0-Notendurchschnitt hat es nicht gereicht – damit war mein Traum, Psychologie zu studieren, schnell vom Tisch. Nachhilfe konnte ich mir nicht leisten, und auch Wartesemester kamen nicht infrage: Meine Eltern machten mir deutlich, dass ich mich in der Zeit selbst finanzieren müsste. Stattdessen entwickelte ich einen neuen Plan, Neurobiologin zu werden. Ich wollte die biologischen Grundlagen psychischer Erkrankungen verstehen – und so begann ich direkt nach dem Abitur ein allgemeines Biologiestudium. Dabei entdeckte ich meine Begeisterung für die Molekularbiologie – und wusste: Das ist mein Fach. Anfangs konnten sich meine Eltern wenig unter einem Biologiestudium vorstellen – und schon gar nicht, wie man damit Geld verdienen soll.

Als Arbeiterkind war mir schnell klar: Ohne BAföG oder Stipendium geht es nicht. Der BAföG-Antrag war ein bürokratisches Labyrinth, aber durch andere Studierende erfuhr ich, dass man für ein Stipendium kein Überflieger sein muss – also bewarb ich mich und bekam tatsächlich eins. Auch beim wissenschaftlichen Schreiben war ich auf mich allein gestellt. Zuhause konnte mir niemand helfen, also suchte ich Hilfe bei Kommiliton*innen. Ohne sie hätte ich gar nicht gewusst, wo ich anfangen soll.

In meinem Amt als Gleichstellungsbeauftragte habe ich erlebt, wie schnell weibliches Engagement kleingeredet wird. Wenn ich Veranstaltungen organisiert habe, gab es immer wieder Männer, die mir erklärten, wie ich meine Arbeit „besser“ machen könnte – obwohl ich sie längst selbst geplant und gemacht hatte.

Solche Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir über strukturelle Ungleichheiten sprechen – und sie nicht einfach hinnehmen. Der sogenannte Matilda-Effekt, bei dem wissenschaftliche Leistungen von Frauen systematisch Männern zugeschrieben oder weniger anerkannt werden, ist kein Mythos, sondern spürbar. Genau deshalb setze ich mich dafür ein, dass Frauen in der Wissenschaft sichtbarer werden und sich gegenseitig stärken. In meinem Amt habe ich unter anderem Aktionen für kostenlose Menstruationsprodukte und All-Gender-Toiletten mitorganisiert. Aber genauso wichtig war mir: Zuhören, ernst nehmen, Räume schaffen, in denen sich jede*r sicher fühlt. Ich glaube fest daran, dass auch kleine Schritte zu mehr Gleichstellung führen – und jede Stimme zählt.

Mit der Zeit habe ich mir vieles selbst beigebracht – Schritt für Schritt, mit Hilfe von Freund*innen, offenen Mitstudierenden und ganz viel Ausprobieren. Ich musste lernen, mir selbst zu vertrauen, auch wenn ich oft das Gefühl hatte, nicht genug zu wissen oder „nicht reinzupassen“. Gerade in Seminaren oder Laborpraktika hatte ich anfangs oft das Gefühl, alle anderen seien viel sicherer, viel weiter. Aber ich habe gemerkt: Fragen stellen ist keine Schwäche, sondern der Schlüssel dazu, weiterzukommen. Ich habe angefangen, mich im Studium sicherer zu fühlen und sogar richtig Spaß an den Inhalten gefunden – besonders dann, wenn ich verstanden habe, wie komplex und gleichzeitig logisch biologische Zusammenhänge sind. Rückblickend weiß ich: Ohne mein Netzwerk aus Freund*innen und Kommiliton*innen hätte ich meinen Platz im Uni-System nie gefunden. Sie haben mir gezeigt, dass ich nicht alles allein schaffen muss – und dass gegenseitige Unterstützung oft mehr wert ist als jede Vorlesung.

Doch dieses Netzwerk musste ich mir erst mühsam aufbauen. Angefangen hat alles mit meinem Freund, der selbst aus einer Arbeiterfamilie kommt, aber durch ein Vorstudium schon etwas Erfahrung mitgebracht hat. Weitere Kontakte entstanden in den Erstsemesterveranstaltungen – und über die Jahre haben sich daraus wertvolle, langjährige Freundschaften entwickelt.

Hätte ich damals schon von ArbeiterKind.de und ihrer Arbeit gewusst, wäre ich vermutlich sofort beigetreten. Vieles wäre einfacher gewesen – vor allem das Gefühl, nicht allein zu sein mit all den Fragen, die man als Erster in der Familie im Studium hat. Genau deshalb engagiere ich mich heute selbst dort.

ArbeiterKind.de schafft Zugänge für Menschen, die sonst kaum eine Chance hätten, Teil der Wissenschaft zu werden. Und genau solche neuen Stimmen braucht es – besonders die von Frauen, die in der Forschung über Jahrhunderte hinweg übersehen, unterschätzt oder bewusst unsichtbar gemacht wurden. Dabei ist es längst überfällig, dass Forschung vielfältiger wird – denn ohne unterschiedliche Perspektiven bleiben Fragen unbeantwortet. Wer, wenn nicht Frauen, sollte zum Beispiel endlich Endometriose in den Fokus rücken oder Gendermedizin vorantreiben? Und deshalb möchte ich als Molekularbiologin und Arbeiterkind meinen Teil dazu beitragen, die Welt vielleicht ein kleines bisschen gerechter zu machen.

Du möchtest dich auch gern mit anderen vernetzen, die als erste Person in ihrer Familie studieren oder studiert haben? Du möchtest dich selbst gern ehrenamtlich engagieren und andere mit deiner Geschichte ermutigen ihren eigenen Bildungsweg zu gehen? Dann melde dich bei der Bundeslandkoordinatorin für Rheinland-Pfalz, Antonia Diaco, unter rheinland-pfalz@arbeiterkind.de.

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